Wildnisschule Waldschrat
Die Natur als Lehrer – In der Wildnisschule Waldschrat
Die Wildnisschule Waldschrat ist eine Schule der etwas anderen Art. Es gibt weder Klassenzimmer, noch Noten und die Lehrer sind nicht nur Menschen, sondern auch Tiere, Pflanzen und die Elemente. Das Lernen findet zumeist im Hintergrund und auf spielerische Art und Weise statt. Es geht in erster Linie darum, Begeisterung und Neugier für die Wunder und Schätze der Natur zu entfachen. Wenn dieses innere Feuer einmal brennt, geschieht das Lernen ganz von selbst. Natürlich muss dafür gesorgt werden, dass es nicht erlischt. Es braucht also von Zeit zu Zeit neues „Futter“. Im Fokus sind unter anderem folgende Themen: essbare und heilsame Wildpflanzen, Spuren- & Fährtenlesen, Feuer machen auf alte Art, Vogelsprache, Unterkünfte und Gebrauchsgegenstände aus Naturmaterialien, Gemeinschaft, Dankbarkeit und Wertschätzung.
Es geht also weit über das nackte Überleben in der Wildnis hinaus. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, dass wir alle Teil der Natur sind und die Wildnis nicht zwangsläufig eine große, unbekannte Gefahr darstellt, welche es zu überleben gilt, sondern dass sie uns alles zur Verfügung stellt, was wir wirklich zum Leben brauchen und dass sie unser zu Hause sein kann. In der Wildnisschule lernt man die Natur kennen und lieben. Und was man liebt, das beschützt und bewahrt man. Insofern leistet die Wildnisschule nicht nur einen wertvollen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung, sondern auch Naturschutz-Basisarbeit.
Schulalltag in der Wildnisschule Waldschrat – Das Herbstferiencamp „Biber & Birken“
Es ist ein später Nachmittag an einem Montag im Oktober. Auf der Wiese am Kesselsee in Hoppegarten bei Müncheberg bauen Eltern mit ihren Kindern Zelte auf und richten sie für die kommende Woche gemütlich ein. In der Feuerstelle tanzen aus Kiefernscheiten aufsteigende Flammen. Darüber hängt ein Kessel mit einer bunten Suppe aus Biogemüse der Region. Auf den rohen Holzbänken drumherum sitzen schon die ersten aufgeregten Wildnisschüler. Viele von ihnen sind bereits mehrfach hier im Camp gewesen und kommen gern wieder, aus eigenem Antrieb, um zur Schule zu gehen – und das in den Ferien!
Nachdem die Eltern verabschiedet sind, ruft plötzlich jemand laut und lang:
„Aaaaaaahnentaaaaafel!“. Die Kids springen auf und rennen zum Zelt um ihr Essgeschirr zu holen. Damit ausgerüstet flitzen sie jedoch nicht zum Küchenzelt, wo das Essen bereit steht, sondern zu zwei Eichenbäumen, an welchen sich jetzt alle im Kreis aufstellen. Einer hält eine mit Glut ausgebrannte Holzschale, gefüllt mit der lecker duftenden Kürbissuppe in den Händen und beginnt sich zu bedanken. Er ist dankbar dafür, dass er hier sein darf, dass es hier so schön ist, dankbar auch für das Feuer, die Tiere und die Pflanzen um uns herum. Er reicht die Schale weiter und fast jedes Kind und auch die Erwachsenen finden schöne, teils ergreifende Dankesworte für scheinbar banale, eigentlich jedoch elementare Dinge. Dieses Ritual findet vor jeder Mahlzeit statt. Es bringt Menschen näher zusammen, lässt sie einander zuhören und darüber nachdenken, wofür im Leben sie eigentlich dankbar sind. Eine gute und wichtige Übung, um neben der Flut an schlechten Nachrichten aus aller Welt auch die schönen Dinge im Leben in den Fokus zu rücken. Außerdem ist es eine Zeremonie, um sich mit unseren Vorfahren, unseren Ahnen zu verbinden und auch ihnen zu danken. Zum Beispiel dafür, dass wir überhaupt am Leben sind. Satt und
zufrieden sitzen nach dem Essen alle gemeinsam um das Feuer und singen Lieder, in welchen es hauptsächlich um Themen der Natur geht, aber auch um Bolle aus Berlin und schwarze Socken, die niemals schmutzig werden. Einige Lieder werden zweisprachig, abwechselnd in deutsch und englisch gesungen, andere stammen von indigenen Kulturen aus Nordamerika, Afrika, Osteuropa oder Skandinavien. In der Wildnisschule sammeln sich kulturelle Elemente aus aller Welt, mischen sich mit unseren mitteleuropäischen und lassen so eine ganz eigene, neue Wildniskultur entstehen. Sie alle haben jedoch eines gemeinsam: Es geht um die tiefe Verbindung zur Natur.
Eine Gemeinschaft entsteht
Am nächsten Morgen beginnt der Tag wie der letzte endete, mit Feuer. Da es regnet, wird diesmal ein Feuer im „Jipi“ entzündet. Es handelt sich hierbei um eine Kombination aus Jurte und Tipi, daher der Name, welchen sich auch Wildnisschüler ausgedacht haben. Nach dem Frühstück werden die Campteilnehmer aufgefordert, sich in vier ungefähr gleich große Gruppen aufzuteilen, einen geheimen Gruppenplatz zu finden und sich dort auf einen Clan-Namen, ein Symbol und einen Ruf zu einigen. Nach einer Viertelstunde ist es so weit und alle sind wieder da. Nun beginnt die Präsentation der verschiedenen Clans, welche ihren Namen pantomimisch und akustisch darstellen. Alle anderen sollen den Namen erraten. Es geht sehr lustig zu und nach einer Weile ist klar, mit wem man es die kommende Woche zu tun hat. Das ganze hat jedoch noch einen weiteren Sinn, als nur den Spaß dabei. Die nun entstandenen Gruppen werden in die im Campalltag anfallenden Aufgabenbereiche eingeteilt und erledigen sie die ganze Woche über im Rotationsprinzip. Die Teilnehmer werden also in sämtliche Arbeitsabläufe eingebunden und lernen somit, was es braucht, um ein kleines Dorf zu versorgen. Unter Anleitung wird Feuerholz gesammelt und gesägt, essbare Wildpflanzen werden geerntet, in der Küche wird geschnippelt
und gekocht, Laub wird als Einstreu für die Komposttoiletten gesammelt und Feuer wird auf alte Art entzündet und gehütet. Durch das rege Treiben im Camp entsteht eine Idee vom Leben der Naturvölker, wenn auch klar ist, dass es sich beträchtlich von dem zeitlich begrenzten Rahmen der Wildniscamps unterscheidet.
Jäger und Sammler
Am Nachmittag geht es um ein Thema, welches für Naturvölker überlebenswichtig ist und auch für unsere Vorfahren von allergrößter Bedeutung war: Nahrung. Beim Gespräch über das Überleben in der Wildnis taucht die Frage auf, ob wir auf tierische Nahrung angewiesen sind, oder ob wir uns auch ausschließlich von Wildpflanzen ernähren können. Die Antwort lautet: „Probieren wir es aus!“ Die Teilnehmer haben nun die Wahl zwischen verschiedenen Projekten: Sie können als Sammler herumstreifen und essbare Pflanzen ausfindig machen und verarbeiten, oder sich als Jäger der Herstellung ihrer Jagdwerkzeuge widmen. Zur Wahl stehen hier das Wurfholz, eine der ältesten Waffen der Menschheit, der primitive Jagdbogen und primitive Angelruten. Die „Jäger“ ziehen los und bemerken, wie wichtig die Pflanzen für die Jagd auf Tiere sind. Sie suchen geeignete Haselsträucher um an Material für die Herstellung ihrer Jagdwaffen zu kommen. Nach der Ernte geht es ans Schnitzen im sitzen. Rings um die Feuerstelle wachsen die Haufen aus Holzspänen, welche zukünftige Feuer entzünden werden. Einige Wurfhölzer nehmen bereits Form an und den Bogenbauern wird spätestens jetzt klar, dass ein Jagdbogen kein Flitzebogen ist und etwas mehr Aufwand und Geduld erfordert. Irgendwann kommen die Sammler zurück ins Lager, mit reicher Beute. Sie haben beachtliche Mengen an Eicheln gesammelt, denn die Bäume tragen schwer in diesem Jahr. Es wird darüber gesprochen, warum das so ist und dass unsere Vorfahren einst Eicheln als Grundnahrungsmittel verwendeten. Die Eicheln werden in eine große Pfanne gegeben und über einer Feuergrube geröstet bis die Schale aufplatzt. Anschließend werden sie geschält, zerkleinert und dann wieder geröstet. Sie schmecken nun bereits nicht mehr so bitter wie zuvor. Ein Teil der gerösteten Eichelstücke wird nun gemahlen und zu aromatischem Eichenkaffee verarbeitet, der andere Teil wird mehrfach gekocht, damit sich die bitteren Gerbstoffe herauslösen. Die nun gar nicht mehr bitter schmeckenden Eichelstücken werden getrocknet. Später wird Mehl aus ihnen gemahlen und dieses wiederum zu leckeren Bratlingen verarbeitet. Die Sammler finden auch verschiedene Kräuter, Beeren und Pilze, welche die Mahlzeiten ergänzen und bereichern. Besonders lecker sind die drei Parasolpilze, welche in der Pfanne zu herrlichen Waldschnitzeln gebraten werden. Aber ausschließlich von Pflanzen und Pilzen zu leben könnte schwierig werden…
Inzwischen gibt es bei den Jägern schon einige Experten im Wurfholzwerfen und auch die ersten schönen Bögen sind fast fertig und schussbereit. Die Angler haben mittlerweile drei Haselruten mit verschiedenen Angelschnüren ausgerüstet. Eine wurde aus Brennnessel hergestellt und gespleißt, eine weitere geflochten und die dritte aus Pferdehaar verdrillt. Es wurden sogar Angelhaken aus Dornen verschiedener Pflanzen und aus geeigneten Hölzern hergestellt. Außerdem wurden Querhaken aus Fischknochen zurechtgeschnitzt und an den Schnüren befestigt. Nun geht es an die Ködersuche. In der schwarzen, feuchten Erde nahe des Sees leben etliche Regenwürmer. Die „Jagd“ im Wasser kann beginnen. Zuvor wird jedoch mit allen noch ein sehr wichtiges Thema besprochen. Das respektvolle, möglichst schmerzlose und schnelle Töten von Lebewesen. Was bedeutet es, Leben zu nehmen? Wann ist es vertretbar, wann nicht, wann ist es nötig und wann nicht. Machen wir dahingehend einen Unterschied zwischen Rehen, Würmern oder Fischen? Das Angeln ist für die Gruppe die einzige Möglichkeit, tatsächlich auf ursprüngliche Art mit einfachen Mitteln Tiere zu erbeuten, zumal die Betreuer einen Angelschein vorweisen können. Die Jagd auf Säugetiere und Vögel ist in Deutschland dagegen nur mit Schusswaffen, der entsprechenden Ausbildung und den nötigen Genehmigungen erlaubt. Aber auch wenn letztlich nicht aktiv Wildtiere gejagt werden, so ist es doch ohne Zweifel für alle sehr spannend, sich mit der Thematik zu beschäftigen. Wenn man bedenkt wie lange die Menschheit bereits existiert und dass
sie den Großteil davon zwangsläufig sehr naturverbunden gelebt, gesammelt und gejagt hat, so verwundert es nicht, dass auch heute noch ein gewisser Jagdtrieb in vielen Menschen steckt und teils auf moderne Art ausgelebt wird, wie z.B. mit Fußball oder Videospielen. Scheinbar ist es gut, diesen Instinkt zu befriedigen, auch wenn statt auf lebende Tiere auf Zielscheiben geschossen wird. Und auch mit der Kamera lässt sich hervorragend „Beute machen“. Die Bogenschützen sind soweit. Mehrere Tage haben sie auf diesen Moment hingearbeitet und nun ist er da. Stolz auf ihre eigenhändig erarbeiteten Bögen, jeder so individuell wie sein Besitzer, stellen sie sich in einiger Entfernung zu ihrem Ziel auf. Es handelt
sich hierbei um eine mit Heu gefüllte Pappkiste, auf welche Ringe gemalt sind. Nachdem die Sicherheitsregeln geklärt sind, geht’s los. Die ersten Pfeile treffen ihr Ziel und die Schützen sind
begeistert, dass ihr Bogen tatsächlich so gut funktioniert. Manche der Bögen haben tatsächlich ein Zuggewicht, mit welchem man erfolgreich kleine Wildtiere jagen könnte. Nötig ist es nicht, denn die Verpflegung im Camp ist reichhaltig und es gibt sogar echte Wildfleisch-Currywurst. Aber was würde geschehen, wenn nun tatsächlich ein größeres Säugetier erlegt werden würde? Zunächst würde
man wohl eine Dankeszeremonie abhalten und dem Geist des Tieres die letzte Ehre erweisen, so wie es auch heute noch z.B. bei Gesellschaftsjagden Tradition ist. Dann ginge es an die ganzheitliche Tierverarbeitung: Fast alles wird verwendet, nichts wird verschwendet. Die wenigen nicht genutzten Überreste finden ihren Platz im Kreislauf der Natur. Selbst aus Innereien wie dem Magen werden nützliche und schöne Gebrauchsgegenstände hergestellt. Herz, Leber, Nieren und das Fleisch dienen als Nahrung,
aus dem Fett wird Schmalz oder Brennstoff für Kerzen, aus den Knochen werden Werkzeuge gefertigt und auch das Fell findet vielseitige Verwendung, in Form von Leder oder Rohhaut. Der Schatz der Tiere wird offensichtlich, wird in dieser ungewöhnlichen Schule erfahrbar und erlebbar gemacht. Das archaische Wissen um die elementarsten Fertigkeiten der Menschheit wird weitergegeben.
Mit Haut und Haaren
In der Gruppe soll ein Teil davon nun tatsächlich praktisch umgesetzt werden – das Herstellen und die Verarbeitung einer Rohhaut. Hierfür wurde das Fell eines jungen Rehbocks, welcher vom örtlichen Jäger geschossen wurde, in Salz eingelegt, um es vor der Verwesung zu bewahren. Seit drei Tagen weicht es nun in einem Wassereimer ein und wartet auf den richtigen Moment. Dieser ist nun gekommen, da sich die Haare jetzt durch Zupfen leicht entfernen lassen. Das nasse Fell wird auf einen glatten Holzstamm gelegt und mit einem Schabemesser bearbeitet. Sämtliche Haare, Fleisch- und Fettreste werden entfernt. Nach zwei Stunden Arbeit wird die glatte, haarlose Haut in einen Rahmen aus dünnen Douglasienstämmen eingebunden und gespannt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und würde auch als dekorativer Wandschmuck durchgehen. Die Gruppe hat jedoch etwas anderes damit vor. Zunächst wird der Rahmen dicht an der Feuerstelle platziert, damit die Haut innerhalb eines Abends trocknen kann. Bereits nach wenigen Minuten beginnt das flackernde Feuer an einigen Stellen hindurchzuscheinen.
Nun wird auch die typische Hautstruktur sichtbar. Nach einigen Stunden ist die Haut gänzlich durchscheinend und am nächsten Morgen wird sie aus dem Rahmen genommen. Nun suchen sich die Teilnehmer des Camps jeweils einen Bereich auf der Rohhaut aus, welcher anschließend ausgeschnitten wird. Diese Rohhautstücken werden nun gefaltet und mit Hilfe von Ahlen aus Rehbeinknochen bearbeitet, um sie im Anschluss mit einer Rohhautschnur zu vernähen. Aus der Tierhaut entstehen wunderschöne kleine Taschen für weitere Schätze der wilden Kinder.
Wildnisschule Waldschrat
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